“Vergesst doch das Verstehenwollen”
Bild Marco Hartmann
Seine ungewöhnlichen Kunstprojekte sorgen immer wieder für Aufsehen. Dabei ist Peter Trachsel keineswegs ein Einzelkämpfer, sondern ein Kulturnetzwerker reinsten Wassers, wie der Erfolg seines «Museums in Bewegung» beweist.
Mit Peter Trachsel sprach Carsten Michels
Herr Trachsel, wem immer man von Ihrem Prättigauer «Museum in Bewegung» erzählt, der macht grosse Augen. Ein Kunsthaus ohne eigentliches Gebäude - das gibt es nur einmal in der Schweiz, oder?
Peter Trachsel: Ich wüsste nicht, wo sonst noch. Nein, das «Museum in Bewegung « ist das erste und einzige seiner Art.
Und was sind Sie als dessen Gründer und Leiter? So etwas wie ein künstlerischer Till Eulenspiegel?
(lacht) Wenn das positiv gemeint ist: ja - meinen Sie es negativ: nein.
Eulenspiegel war übermütig, aber mit Verstand, Witz und Ideen gesegnet. Das mussten auch Sie sein, um Aufnahme in den Verband der Museen der Schweiz zu finden. Seit November ist das «Museum in Bewegung» institutionelles Mitglied des Verbandes. Welches Ihrer Argumente hatte am Ende gezündet?
Die Argumente waren eigentlich sehr einfach. Man bewirbt sich ja bei diesem Verband, dann kommt ein «hoher Herr» oder eine «hohe Dame» auf Besuch und nimmt das Museum in Augenschein.
Was in Ihrem Fall ... sagen wir mal, etwas kompliziert war.
Ganz und gar nicht. Unser «hoher Herr» war Gutachter Flurin Camenisch. Ich bat ihn in die Klosterser GalerieTuchamid, wo ich damals als «Ladenhüter» tätig war. Dort haben wir die Idee der «14 Räume für die Kunst- ein Museum in Bewegung» ausführlich besprochen. Und anschliessend sind wir in jene Prättigauer Dörfer gefahren, in denen die beteiligten Künstler bereits Projekte realisiert hatten. Das überzeugte ihn offenbar
Die Idee des «Museums in Bewegung» besteht darin, dass Kulturschaffende bis 2014 in je einer der 14 Prättigauer Gemeinden jährlich ortsspezifische Kunstprojekte umsetzen. Doch machen nicht alle Gemeinden mit ...
Wie wahr, dasVorderprättigau ist weiterhin skeptisch.
Bei neun Gemeindepräsidenten konnten Sie die Widerstände aber überwinden,das zeugt von Verhandlungsgeschick.
Ich könnte jetzt ja reden, wie man für die Zeitung halt so redet. Oder soll ich ehrlich sein?
Nur zu.
Widerstände überwinden, das muss man hier andauernd und konstant, die sind einfach da. In diesem Sinne habe ich wahrscheinlich keine Gemeinde klar überzeugt, ausser Küblis vielleicht. Was soll ich sagen? Man wird toleriert.
Wo liegt das Problem? Knappe Kassen?
Das heisst es zumindest immer. Dabei geht es für jede Gemeinde um 2000 Franken im Jahr
Was wären das pro Tag?
Ungefähr 5.50, also keine Unsumme.
Mit dem «Museum in Bewegung» wollen Sie die Kunst in die Dörfer tragen. Auf allen Wegen von Jenaz beispielsweise legte das Künstlerpaar Klara Schilliger und Valerian Maly 100 Kilometer roten Fadens aus; in Saas haben Autorin Angelika Böck und Grafikerin Heidi Roth Hauswände «betextet»; in St. Antönien lud eine «Bergdenkerin» zur stillen Wanderung ...
... vergessen Sie den Komponisten Robin Hoffmann in Conters nicht, oder den Schriftsteller Hans Raimund in Küblis.
Alles schön und recht. Aber wirkt das auf einen Kunstaktions-unerfahrenen Dorfbewohner nicht reichlich skurril?
Ja, natürlich wirkt einiges für manche skurril, das ist klar. Es sind wenige Bewohner, die mit den Aktionen direkt konfrontiert sind oder die sich konfrontieren lassen.Aber von denen, die es getan haben, sind eigentlich alle beglückt gewesen. Da hat niemand hinterher gemeint: Herrjeh, was sind diese Kulturschaffenden für eitle Trottel.
Die Performances und Interventionen tragen Titel wie «Wolkenspaziergang», «Alleswirderdbeerblau», «Teilessen» und «Tripping through runtime» - selten erleichtern Künstler den Zugang zu ihrer Kunst. Ist der Argwohn einfacher Leute da nicht verständlich?
Argwohn ist mir nicht begegnet. Die Leute sagen höchstens: Verstehen wir nicht. Das ist etwas anderes. Und dann sage ich immer: Vergesst doch mal das Verstehenwollen. Was wollt ihr denn verstehen, wenn ihr schon gar nichts wisst? (lacht)
Und das hilft?
Ja, das Rezept ist: offen hingehen, einfach mal schauen und dann langsam, im besten Fall auch mit Fragen weiterkommen. Die Künstler sind, im Gegensatz zu herkömmlichen Ausstellungen, für das Publikum ja ansprechbar. Dadurch, dass wir mit dem «Museum in Bewegung» vor Ort immer wieder so komische Dinge in den Alltag bringen, entstehen ungewöhnliche Gedanken. Das hat mit Freiheit zu tun - ein grosses Wort -, zumindest aber mit einer gewissen Lust.
Sie stammen aus Schaffhausen, haben in Zürich gewirkt und bereichern mit Ihrem Kulturnetzwerk «Die Hasena», aus dem das «Museum in Bewegung» hervorgegangen ist, seit nunmehr über 20 Jahren das Prättigau. Sind Sie als Künstler und Kunstinitiator glücklich angekommen?
Ich bin einst angekommen, akzeptiert worden, aber bis heute der Fremde geblieben. Das soll auch so sein. Es waren ja immer Fremde, die neue Ideen in die Täler gebracht haben. Als Einheimischer wäre ich mit vielen Projekten wohl gescheitert. So aber bin ich halt «der Trachsel», einer, der Kunst sät aus einem gewissen Anderssein heraus.
Warum wären Sie denn mit vielen Projekten gescheitert, wenn Sie von hier wären?
Liegt das nicht auf der Hand? In einem Dorf, wo jeder jeden kennt, da wagt man sich als Einheimischer nicht so ohne weiteres ins Rampenlicht. Gegebenenfalls macht man ja nicht nur sich, sondern auch noch seine sämtlichen Verwandten vor der Dorfgemeinschaft lächerlich.
Nun übertreiben Sie aber. Es gibt doch in fast jedem Bündner Dorf einen Theaterverein, einen Chor oder eine Musikgesellschaft.
Musikgesellschaft ist ein gutes Stichwort. Für mein Projekt «Fremde» habe ich hier vor vier, fünf Jahren versucht, in jedem Dorf einen Einheimischen oder eine Einheimische zu finden, die ein Instrument spielt. Es ging um ein dreiminütiges Musikstück, eine Fanfare. Die sollte am 16. Januar um 16 Uhr gespielt werden, in allen Gemeinden zur selben Zeit. Ich dachte, das ist kein Problem, in den meisten Dörfern gibt es eine Musik, da wird es auch Blechbläser geben. Was glauben Sie, wie viele sich gemeldet haben?
Hunderte.
Von wegen. Kaum einer hatte den Mut, sich öffentlich hinzustellen und die Fanfare zu spielen. «Die Leute lachen mich ja aus», hiess es immer.
Und ein Fremder hat da weniger Skrupel?
So ist es. Der Fremde stellt sich hin und spielt. Der Einheimische fühlt sich ausgestellt, alle schauen, zeigen auf ihn, und er muss sich rechtfertigen. Als Fremder habe ich immer und überall eine gewisse Narrenfreiheit. Ich muss sagen, ich geniesse das auch.
Was für «närrische» Dinge haben die Prättigauer denn künftig vom «Museum in Bewegung» zu erwarten?
Eine ganze Reihe von Projekten.Aber es wird immer wieder spezielleAktionen geben, die alle Orte verbinden: Zum Beispiel wird der deutsche Performancekünstler Boris Nieslony im Juni in Landquart aus dem Zug steigen, einen Tisch schultern und zu Fuss durchs Prättigau marschieren, uni jedes Dorf zu besuchen.
Einen Tisch?
Ja, auf dem Rücken. Er kommt als Gast auf die Dorfplätze und trägt das grösste Zeichen von Gastlichkeit gleich mit sich.
Das klingt schon wieder verdächtig nach Eulenspiegelei.
Finden Sie? Mich erinnert es an den wunderschönen Satz des Künstlers Urs Lüthi: «Kunst ist das bessere Leben.» Denn wer sich die Freiheit und die Zeit nimmt und sich ein bisschen mit Kunst beschäftigt, der kann nur gewinnen.
In der Reihe «Kulturgespräche» kommen in loser Folge Persönlichkeiten zu Wort, die dem Bündner Kulturleben eng verbunden sind.
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