Dienstag, 3. März 2009

Kulturgespräch: die Südostschweiz 21.02.2009

“Vergesst doch das Verstehenwollen”

Bild Marco Hartmann

Seine ungewöhnlichen Kunst­projekte sorgen immer wieder für Aufsehen. Dabei ist Peter Trachsel keineswegs ein Einzel­kämpfer, sondern ein Kultur­netzwerker reinsten Wassers, wie der Erfolg seines «Muse­ums in Bewegung» beweist.
Mit Peter Trachsel sprach Carsten Michels

Herr Trachsel, wem immer man von Ih­rem Prättigauer «Museum in Bewe­gung» erzählt, der macht grosse Augen. Ein Kunsthaus ohne eigentliches Ge­bäude - das gibt es nur einmal in der Schweiz, oder?
Peter Trachsel: Ich wüsste nicht, wo sonst noch. Nein, das «Museum in Be­wegung « ist das erste und einzige sei­ner Art.

Und was sind Sie als dessen Gründer und Leiter? So etwas wie ein künstleri­scher Till Eulenspiegel?
(lacht) Wenn das positiv gemeint ist: ja - meinen Sie es negativ: nein.

Eulenspiegel war übermütig, aber mit Verstand, Witz und Ideen gesegnet. Das mussten auch Sie sein, um Aufnahme in den Verband der Museen der Schweiz zu finden. Seit November ist das «Mu­seum in Bewegung» institutionelles Mitglied des Verbandes. Welches Ihrer Argumente hatte am Ende gezündet?
Die Argumente waren eigentlich sehr einfach. Man bewirbt sich ja bei die­sem Verband, dann kommt ein «hoher Herr» oder eine «hohe Dame» auf Besuch und nimmt das Museum in Augenschein.

Was in Ihrem Fall ... sagen wir mal, et­was kompliziert war.
Ganz und gar nicht. Unser «hoher Herr» war Gutachter Flurin Came­nisch. Ich bat ihn in die Klosterser Ga­lerieTuchamid, wo ich damals als «Ladenhüter» tätig war. Dort haben wir die Idee der «14 Räume für die Kunst- ein Museum in Bewegung» ausführ­lich besprochen. Und anschliessend sind wir in jene Prättigauer Dörfer gefahren, in denen die beteiligten Künstler bereits Projekte realisiert hatten. Das überzeugte ihn offenbar

Die Idee des «Museums in Bewegung» besteht darin, dass Kulturschaffende bis 2014 in je einer der 14 Prättigauer Gemeinden jährlich ortsspezifische Kunstprojekte umsetzen. Doch machen nicht alle Gemeinden mit ...
Wie wahr, dasVorderprättigau ist wei­terhin skeptisch.

Bei neun Gemeindepräsidenten konn­ten Sie die Widerstände aber überwinden,das zeugt von Verhandlungsge­schick.
Ich könnte jetzt ja reden, wie man für die Zeitung halt so redet. Oder soll ich ehrlich sein?

Nur zu.
Widerstände überwinden, das muss man hier andauernd und konstant, die sind einfach da. In diesem Sinne habe ich wahrscheinlich keine Gemeinde klar überzeugt, ausser Küblis viel­leicht. Was soll ich sagen? Man wird toleriert.

Wo liegt das Problem? Knappe Kassen?
Das heisst es zumindest immer. Dabei geht es für jede Gemeinde um 2000 Franken im Jahr

Was wären das pro Tag?
Ungefähr 5.50, also keine Unsumme.

Mit dem «Museum in Bewegung» wol­len Sie die Kunst in die Dörfer tragen. Auf allen Wegen von Jenaz beispielswei­se legte das Künstlerpaar Klara Schilli­ger und Valerian Maly 100 Kilometer ro­ten Fadens aus; in Saas haben Autorin Angelika Böck und Grafikerin Heidi Roth Hauswände «betextet»; in St. An­tönien lud eine «Bergdenkerin» zur stil­len Wanderung ...
... vergessen Sie den Komponisten Robin Hoffmann in Conters nicht, oder den Schriftsteller Hans Raimund in Küblis.

Alles schön und recht. Aber wirkt das auf einen Kunstaktions-unerfahrenen Dorfbewohner nicht reichlich skurril?
Ja, natürlich wirkt einiges für manche skurril, das ist klar. Es sind wenige Be­wohner, die mit den Aktionen direkt konfrontiert sind oder die sich kon­frontieren lassen.Aber von denen, die es getan haben, sind eigentlich alle be­glückt gewesen. Da hat niemand hin­terher gemeint: Herrjeh, was sind die­se Kulturschaffenden für eitle Trottel.

Die Performances und Interventionen tragen Titel wie «Wolkenspaziergang», «Alleswirderdbeerblau», «Teilessen» und «Tripping through runtime» - sel­ten erleichtern Künstler den Zugang zu ihrer Kunst. Ist der Argwohn einfacher Leute da nicht verständlich?
Argwohn ist mir nicht begegnet. Die Leute sagen höchstens: Verstehen wir nicht. Das ist etwas anderes. Und dann sage ich immer: Vergesst doch mal das Verstehenwollen. Was wollt ihr denn verstehen, wenn ihr schon gar nichts wisst? (lacht)

Und das hilft?
Ja, das Rezept ist: offen hingehen, ein­fach mal schauen und dann langsam, im besten Fall auch mit Fragen weiter­kommen. Die Künstler sind, im Ge­gensatz zu herkömmlichen Ausstel­lungen, für das Publikum ja ansprech­bar. Dadurch, dass wir mit dem «Mu­seum in Bewegung» vor Ort immer wieder so komische Dinge in den All­tag bringen, entstehen ungewöhnliche Gedanken. Das hat mit Freiheit zu tun - ein grosses Wort -, zumindest aber mit einer gewissen Lust.

Sie stammen aus Schaffhausen, haben in Zürich gewirkt und bereichern mit Ih­rem Kulturnetzwerk «Die Hasena», aus dem das «Museum in Bewegung» her­vorgegangen ist, seit nunmehr über 20 Jahren das Prättigau. Sind Sie als Künstler und Kunstinitiator glücklich angekommen?
Ich bin einst angekommen, akzeptiert worden, aber bis heute der Fremde ge­blieben. Das soll auch so sein. Es wa­ren ja immer Fremde, die neue Ideen in die Täler gebracht haben. Als Ein­heimischer wäre ich mit vielen Pro­jekten wohl gescheitert. So aber bin ich halt «der Trachsel», einer, der Kunst sät aus einem gewissen Anders­sein heraus.

Warum wären Sie denn mit vielen Pro­jekten gescheitert, wenn Sie von hier wären?
Liegt das nicht auf der Hand? In ei­nem Dorf, wo jeder jeden kennt, da wagt man sich als Einheimischer nicht so ohne weiteres ins Rampenlicht. Gegebenenfalls macht man ja nicht nur sich, sondern auch noch seine sämtlichen Verwandten vor der Dorf­gemeinschaft lächerlich.

Nun übertreiben Sie aber. Es gibt doch in fast jedem Bündner Dorf einen Thea­terverein, einen Chor oder eine Musik­gesellschaft.
Musikgesellschaft ist ein gutes Stich­wort. Für mein Projekt «Fremde» ha­be ich hier vor vier, fünf Jahren ver­sucht, in jedem Dorf einen Einheimi­schen oder eine Einheimische zu fin­den, die ein Instrument spielt. Es ging um ein dreiminütiges Musikstück, ei­ne Fanfare. Die sollte am 16. Januar um 16 Uhr gespielt werden, in allen Gemeinden zur selben Zeit. Ich dach­te, das ist kein Problem, in den meis­ten Dörfern gibt es eine Musik, da wird es auch Blechbläser geben. Was glauben Sie, wie viele sich gemeldet haben?

Hunderte.
Von wegen. Kaum einer hatte den Mut, sich öffentlich hinzustellen und die Fanfare zu spielen. «Die Leute la­chen mich ja aus», hiess es immer.

Und ein Fremder hat da weniger Skru­pel?
So ist es. Der Fremde stellt sich hin und spielt. Der Einheimische fühlt sich ausgestellt, alle schauen, zeigen auf ihn, und er muss sich rechtferti­gen. Als Fremder habe ich immer und überall eine gewisse Narrenfreiheit. Ich muss sagen, ich geniesse das auch.

Was für «närrische» Dinge haben die Prättigauer denn künftig vom «Museum in Bewegung» zu erwarten?
Eine ganze Reihe von Projekten.Aber es wird immer wieder spezielleAktio­nen geben, die alle Orte verbinden: Zum Beispiel wird der deutsche Per­formancekünstler Boris Nieslony im Juni in Landquart aus dem Zug stei­gen, einen Tisch schultern und zu Fuss durchs Prättigau marschieren, uni je­des Dorf zu besuchen.

Einen Tisch?
Ja, auf dem Rücken. Er kommt als Gast auf die Dorfplätze und trägt das grösste Zeichen von Gastlichkeit gleich mit sich.

Das klingt schon wieder verdächtig nach Eulenspiegelei.
Finden Sie? Mich erinnert es an den wunderschönen Satz des Künstlers Urs Lüthi: «Kunst ist das bessere Le­ben.» Denn wer sich die Freiheit und die Zeit nimmt und sich ein bisschen mit Kunst beschäftigt, der kann nur gewinnen.



In der Reihe «Kulturgespräche» kommen in loser Folge Persönlichkeiten zu Wort, die dem Bündner Kulturleben eng verbunden sind.

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